Noch etwas mehr zu dieser Wagengattung und dessen Modell Viehwagen VH 14
Vom Ende des 19. Jahrhundert bis in die 60er Jahre des vergangenen Jahrhundert wurde das Schlachtvieh in großen Mengen von den landwirtschaftlichen Erzeugungsgebieten zu den großen Schlachthöfen der Siedlungszentren Deutschlands transportiert. Man nutzte die Eisenbahn – wie segensvoll für die Menschheit. Heute werden Tiere und deren Schachtprodukte über tausende Kilometer per LKW durch Europa gekarrt und der Verbraucher bekommt nicht zu erfahren aus welchem Landwirtschaftsgebiet das Produkt stammt. Produktivität hat ihren Preis; was dem einen zum Vorteil gereicht, bringt dem anderen nicht immer gutes.
Für den Viehtransport wurden bei den Eisenbahnen eigene Fahrzeuge eingesetzt, die in den wesentlichen Konstruktionselementen von den geschlossenen Güterwagen abgeleitet wurden. Es ist dennoch bezeichnend, dass eine eigenständige Gattung geschaffen wurde. Die vereinheitlichte Konstruktion eines Viehwagens mit 15 000 kg Ladegewicht wurde in der Musterzeichnung des Deutschen Staatsbahnwagenverbandes, Blatt 8 niedergelegt.
Der wesentlichste Unterschied zum geschlossenen Güterwagen besteht in der Vielzahl von Lüftungsöffungen in den Wagenwänden, das Einbringen zusätzlicher Wagenböden (bis zu zwei Stück), Aufteilung der Laderäume durch Drehtüren und Anbringen von zusätzlichen Unterkästen (solange unterhalb des Wagenboden die Räume nicht für die selbsttätige Druckluftbremse benötigt wurden). Damit war ein kürzerer Wagenkasten sowie Achsstand bei wesentlich größerer nutzbarer Ladefläche möglich. Das Bremserhaus entspricht der Verbandsbauart nach Musterzeichnung B72.
Technische Daten:
- Länge über Puffer, ungebremst: 8 250 mm
- Länge über Puffer, gebremst: 8 550 mm
- Wagenkastenlänge: 6 950 mm
- Wagenkastenbreite: 2 734 mm
- Achsstand: 4 000 mm
- Lademasse: 15 000 kg
- Eigenmasse: 11 200 kg
Wie jedes Fahrzeug, dass von der Länderbahnzeit bis in die 60er Jahre genutzt wurde, stellt sich der Viehwagen oder wie bahnamtlich Verschlagwagen für den Modellbauer als ein sehr interessantes Vorbild dar. Während der langen Einsatzdauer waren diese vielen konstruktiven Veränderungen unterworfen, die sich einfach aus der Weiterentwicklung der Technik ergaben. Zum anderen spielten geschichtliche Ereignisse wie die beiden Weltkriege einschließlich deren Nachkriegszeiten und die weltweite Wirtschaftskrise eine entscheidende Rolle für die lange Nutzung dieser Fahrzeuge, sie reicht von der Epoche der Länderbahnen (Epoche I) bis hin zur Epoche der Bahnen der Nachkriegszeit – Deutsche Bundesbahn sowie Deutsche Reichsbahn (Epoche III/IV). Die sich daraus ergebenden Möglichkeiten der Beschriftungen der Wagenkästen und Fahrzeugrahmen ist fast nicht mehr überschaubar, ganz abgesehen von den jeweiligen konstruktiven Veränderungen, die ebenfalls maßgeblich das Aussehen bestimmten.
Der Verschlagwagen kam gebremst und ungebremst während der Länderbahnzeit in den Bestand. Die Handbremse befand sich im hochgestellten Bremserhaus. Diese Anordnung fasziniert auch heute noch. - In dieser Zeit wurden Achslagerhalter der Länderbauart als auch der Verbands-bauart verwendet, man war noch in der Phase der Umstellung. Als Radsätze kamen sowohl Scheiben- auch als Speicherräder zum Einsatz. Zunächst mit Stangenpuffer mit zweifach geschlitzten Pufferhaltern ausgerüstet, wurden diese in der Reichsbahnzeit gegen Hülsenpuffer ausgetauscht. Der Einbau der selbsttätigen Druckluftbremse Bauart Knorr/Westinghouse und deren Weiterentwicklungen gaben den Fahrzeugen im unteren Fahrzeugbereich ein markantes Erscheinungsbild. Üblich waren in dieser Zeit Schraubenkupplung und Notkupplung, auf letztere wurde später verzichtet.
Da
die Verschlagwagen mitunter in Personenzüge eingestellt
wurden, erhielten sie eine durchgehende Dampfheizleitung mit Absperrhähnen
in den Endkrümmern.
Durch den Rückbau des Bremserhauses ergeben
sich Variationen bei gleicher Wagenkastenlänge bei den Rahmenlängen
und den Stirnwänden. Der größere Abstand der senkrechten Verstrebung
blieb erhalten. Schließlich wurden etliche Verschlagwagen mit Stirnwandtüren
ausgestattet. Die seitlichen Schiebetüren wurden mit
oder ohne Futterklappen ausgestattet, vielleicht wurden diese
sogar im Rahmen Instandsetzung wieder entfernt.
Mit der Einführung der Druckluftbremse war eine Erhöhung der Zuggeschwindigkeit möglich, die ihrerseits höhere Bremskräfte bedingten. Ein Versteifen des Wagenkasten war nun erforderlich, ausgeführt in den Endfeldern der Seitenwänden. Auch die Verschlagwagen erhielten diese Verstärkungen.
Die vorherige Aufzählung ist sicher nicht vollständig, aber sie zeigt, dass bei einer Kleinserie jedes Fahrzeug ein individuelles Aussehen erhal-ten kann. Mit anderen Worten, jedes hergestellte Fahrzeug kann ein Unikat sein! Darin liegt der Reiz für den Modellbauer und den Modelleisenbahner!
Die beiliegenden Zeichnungen, auf der Grundlage der Musterzeichnungen aus dem Jahr 1911 entstanden, geben nicht alle Einzelheiten wider, die Fangemeinde mag dies entschuldigen. Diese wurden ursprünglich nur für den eigenen Bedarf, in dem für den Modellbau erforderlichen Umfang, angefertigt. Einem Modellbauer muss man nicht alle Einzelheiten vorschreiben bzw. vorgeben, die Realität gibt ihm viele Beispiele der Ausführungen, die durchaus nicht immer den amtlichen Zeichnungen bzw. Vorschriften entsprechen. Die Standardbauteile wie Griffe, Tritte, Hebel, Verschlüsse, Halterungen u.a.m. gestaltet er nach den Musterblättern, Fotografien oder dem Vorbild.
Bei allem Bemühen haben wir kein Original gefunden, scheinbar ist diese Fahrzeuggattung gründlichst ausgerottet worden. Noch während eines Urlaubes Mitte der 80er Jahre in Ungarn wurden Ganzzüge von Verschlagwagen auf den Gleisen größerer Bahnhöfe am Balaton gesichtet. Damals bestand kein Interesse an diesen Wagen und wurden dementsprechend auch nicht abge-lichtet, welch eine Unterlassungssünde. Außerdem war der von ihnen ausgehende Schweinegeruch alles andere als angenehm und so blieb man ihnen fern. Leider sind wir auf die in der Literatur veröffentlichten Fotos angewiesen. Ein Foto von Bellingrodt diente als Vorbild für die Beschriftung.
Zunächst wurde ein Handmuster des Wagenkasten einschließlich hochgestelltem Bremserhaus aus geätztem Messingblech nach selbstangefertigtem Layouts gefertigt. Da ein nicht erwarteter Zu-spruch für unser Modell anlag, haben wir die nachfolgenden Teilesätze industriell ätzen lassen. Für ein Modell - ohne Fahrwerk - waren drei Platinen 300 x 400 mm Ms-Blech erforderlich, ca. 360 Einzelteile sind im Wagenkasten enthalten. Die Frage nach den Arbeitsstunden, die in diesem Modell stecken, kann man nicht beantworten. Besser, man denkt nicht darüber nach. Der unten abgebildete Verschlagwagen enthält einige Elemente mehr als die anderen. Er ist der letzte einer kleinen Serie und ausschließlich für die eigene Anlage bestimmt. Und hier liegt das eigentliche Pro-blem des individuellen Modellbaus, wenn es über den eigenen Bedarf hinaus geht. Wir wissen, dass eine Fertigung unter einer Mindeststückzahl sich nicht rechnet und aus diesem Grund wird der Ver-schlagwagen von uns keine Nachauflage erfahren.
Beim Fahrwerk wurden auf Modelle bekannter Anbieter
zurückgegriffen. Inzwischen sind wir selbst in der Lage, ein modellgerechtes
Fahrwerk herzustellen. Die eigenen Qualitätsansprüche haben uns dazu
veranlasst. Wir mussten erkennen, dass Wagenkasten und Fahrwerk aus einem Guß sein
müssen. Dennoch ist Kooperation immer
angesagt, kaum ein Modellbauer ist in der
Lage, alles in seiner bescheidenen Werkstatt
selbst herzustellen.
Der Erfolg des Verschlagwagens ist uns Ansporn,
weitere Projekte anzugehen.
Weiterführende Literatur:
- Schurer, Viehtransporte, Eisenbahn-Kurier
22(1988)7, Seite28/33, 22(1988)8, Seite 30/32
- Wolfgang Diener, Deutscher Staatsbahnwagenverband
- Zweiachsiger Viehwagen von 15000 kg
Ladegewicht nach Musterzeichnung A8,
Eisenbahn Journal 17(1991)5, Seite 42-47, 49,59
- WAGEN – Das Archiv der deutschen Reisezug-
und Güterwagen, GeraNova Zeitschriftenverlag
GmbH München, 1998
- Wolfgang Diener, Anschriften und Bezeichnungen
von Güterwagen, Abend-Verlag 19921992